Stipendiatin Ulrike Möschel

Interview zum Auslandsstipendium Georgien 2015

1. Liebe Ulrike, schön, dass du mit vielen neuen Impressionen aus Georgien wieder zurück in Düsseldorf bist. Warum hast du dich für das Stipendium beworben?

Es gab mehrere Gründe:
Zum einen hatte ich die georgische Künstlerin Nino Sekhniashvili kennengelernt. Nino war 2014 im Rahmen des Künstlerinnenaustausches in NRW gewesen. Ihre künstlerische Arbeit und ihre Persönlichkeit haben mich neugierig auf Georgien gemacht.
Außerdem hatte ich 2014 ich eine von Maria Wildeis kuratierte Ausstellung mit georgischen KünstlerInnen im Weltkunstzimmer in Düsseldorf gesehen.

Zum anderen gab es einen künstlerischen Grund:
In der Stadtbücherei Düsseldorf fiel mir vor ca. 15 Jahren eine CD aus den 80er Jahren mit dem Titel „Voix de l´Orient Soviétique“ in die Hände. Auf dem Tonträger befand sich ein Hörbeispiel eines georgischen polyphonen Liedes, das mich sehr beeindruckte. Über Jahre habe ich versucht, diesen Song in ein Video einzubinden. Es gelang mir nicht, ich hatte zu wenig Einblick in diese musikalische Kultur. So war es eines meiner Anliegen, in dieser Hinsicht vor Ort künstlerisch weiterzukommen.

Des Weiteren wusste ich, dass man in Georgien auf eine sehr alte, christlich-orthodox geprägte Kultur trifft. 2012 war ich für eine kurze Zeit in Russland, dies hatte mein Interesse an den Ikonen in den orthodoxen Kirchen belebt.
Auslandsaufenthalte waren für meine künstlerische Entwicklung bisher immer sehr kostbar und reichhaltig und künstlerisch prägend: Ich habe mich sehr gefreut, als ich per Mail erfuhr, dass ich von einer Düsseldorfer Kunsthistorikerin für dieses Stipendium vorgeschlagen worden war. Daraufhin habe ich mich beim Frauenkulturbüro beworben und mich sehr gefreut, als ich das Stipendium bekommen habe.

2. Hast du dich mit den heimischen Künstler_innen und Institutionen austauschen können und in welcher Form ist das geschehen?

Ich kannte bereits georgische Künstlerinnen, z.B. Nino Sekhniashvili, die in Tifflis den Projektraum Nectar betreibt. Aus meiner Düsseldorfer Studienzeit an der Kunstakademie, bin ich mit der georgische Künstlerin Thea Gvetadze bekannt, die inzwischen wieder in Tifflis lebt und arbeitet. Wir werden übrigens beide von der gleichen Galerie vertreten: Galerie Rupert Pfab in Düsseldorf. So gab es am Residenzort, neben meiner offiziellen Ansprechpartnerin Natalie Nebieridze vom Tiffliser Projektraum Campus, mehrere Bezugspersonen, mit denen ich und über die ich mit Kulturschaffenden in Kontakt kommen konnte.

Des Weiteren hatte ich in Deutschland bereits versucht, ein Netzwerk nach Georgien zu knüpfen. Vor meiner Abreise in den Kaukasus hatte ich mich in meinem Bekanntenkreis erkundigt, wen man in Tifflis treffen könnte. Auf diesem Wege konnte ich weitere Personen der dortigen Kunstszene kennenlernen.
In Tifflis war es vor allem über Facebook möglich, mich selbständig zu informieren und von Aktivitäten zu erfahren.
In Tifflis hatte ich das große Glück, dass dort die zweite Tblisi Triennale stattfand. Eine vom Center for Contemporary Arts, CCA, organisierte Ausstellung. Im Rahmen dieser Triennale gab es Vortragsrunden, in denen sowohl georgische als auch internationale KünstlerInnen über ihre Arbeiten sprachen. Die Vortragssprache bei diesen Veranstaltungen war Englisch. Ich bekam so einen Einblick in einzelne künstlerische Auseinandersetzungen und konnte neue Kontakte knüpfen.
An dieser Stelle sollte kurz erwähnt werden, dass sich die Künstlerschaft in Georgien sehr stark selbst organisiert. Auch das CCA ist eine von KünstlerInnen gegründete und geleitete „Institution“. Mit Initiativen dieser Art konnte ich problemlos ins Gespräch kommen. So habe ich nach ihrem Vortrag im CCA die Kuratorin der Villa Garicula, einem weiteren unabhängigen, selbstorganisierten Künstler-Raum, angesprochen und diese lud mich ein, zusammen mit ihr in die Villa zu fahren.
Ich konnte Kontakte ins Wano-Saradschischwili-Musikkonservatorium knüpfen, weil ich mich, wie eingangs erwähnt, für polyphone Musik interessiere. Ich habe mich dort ins Folk Music Department durchgefragt und bin offen empfangen worden.

3. Wie hast du die Kunst- und Kulturlandschaft in Armenien/Georgien wahrgenommen?

Georgien beherbergt eine seit dem 4. Jh. christlich geprägte, sehr eigenständige Kulturlandschaft mit einer eigenen Schrift und einer eigenen Sprache.
Mir ist aufgefallen, dass, wenn das Gespräch auf das von Russland völkerwidrig besetzte Abchasien kam, auf die eigene georgische Schrift verwiesen wurde, die in dem okkupierten Gebiet verboten ist.
Aufgrund der geographischen Lage Georgiens mit seinen Berg- und Tallandschaften haben sich regional unterschiedliche Kulturen ausbilden können. Ich habe dies am Beispiel des polyphonen Gesangs mit seinen diversen lokalen Ausprägungen am deutlichsten erfahren können. Kulturell haben die wechselnden Besatzungsmächte, Perser, Osmanen, das Russische Zarenreich, die Sowjetunion, ihre Spuren in dem Land hinterlassen, was sich im architektonischen Stadtbild von Tifflis wiederspiegelt.
Im Moment scheint es Georgien wichtig zu sein, als ein Teil Europas wahrgenommen zu werden. Es findet eine kulturelle Orientierung nach Europa statt, von Russland möchte man sich abgrenzen. Aus Europa fließen Fördergelder in die Kulturförderung Georgiens. Mir wurde berichtet, dass die georgische Regierung diese Möglichkeit aber nicht immer voll ausschöpft

Ich habe die georgische Kultur als extrem vielfältig und komplex wahrgenommen, daher nur ein ganz kurzer Überblick meiner Wahrnehmungen:

Seit jeher eine hoch entwickelte Kultur: z.B. Weinanbau, der bis heute Georgiens Kultur sichtbar prägt. Eine jahrtausendealte Tradition der Metallbearbeitung und Goldschmiedekunst: Ich habe im Georgischen Nationalmuseum, sehr fein gearbeitete Schmuckstücke aus dem 3. Jahrtausend v.Christus gesehen. Diese sahen in ihrer Formgebung so aktuell aus, als wären sie aus der Neuzeit. Kunstschmiedearbeiten aus den letzen beiden Jahrhunderten sind mir vor allem bei meinen Erkundungen durch Tifflis Straßen aufgefallen.

Alte, christliche Kunst begegnet einem überall in Georgien: Kirchen in Kuppelbauweise, kleine Klöster auf Bergspitzen dem Himmel so nah, in ihnen finden sich Ikonen und Fresken.
Viele kunsthistorische Schätze, z.B. Fresken in alten Kirchen auf dem Land, sind schwer zu erreichen. Es gibt kaum finanzielle Mittel für konservatorische Maßnahmen.
Auf der anderen Seite hatte ich den Eindruck, dass die Alltagskultur in Georgien im Moment eine Art religiöse Renaissance erlebt. Menschen bleiben auf dem Gehweg beim Anblick einer Kirche stehen, um sich zu bekreuzigen. Neue Kirchen werden im „georgisch neobyzantisierenden“ Stil gebaut. Die Kirchen sind gut besucht mit Gläubigen aller Altersgruppen.
Die aktuelle Kunstszene jedoch scheint dem Wieder-Erstarken der Religion eher skeptisch gegenüberzustehen.

Bauten der sowjetischen Moderne, monumentale Gebäude, aber auch hochinteressante Mosaike aus der Sowjetzeit, sind oft dem Verfall preisgegeben. Aus meiner mitteleuropäischen Perspektive sah das schon fast symptomatisch aus: Man möchte oder kann sich nicht mit dem sowjetischen Erbe auseinandersetzen oder es gar pflegen. Statt dessen „verfallen“ diese Bauten teilweise.

Ich traf eine aktive, sich selbst organisierende, international gut vernetzte, junge Kunstszene an. Es gibt kaum einen Kunstmarkt, nur wenige staatliche Kunstinstitutionen oder staatliche finanzielle Unterstützung. Stattdessen sah ich viel partizipatorische Kunst-Projekte, politische Kunst, Orientierung an gesellschaftlichen Positionen, Diskursorientierung, performative Kunstformen.

Ein auffälliges Land – Stadtgefälle, was den Zugang zu kulturellen Einrichtungen angeht.

Familiäre und freundschaftliche Bindungen prägen soziale, aber auch berufliche Kontakte, sowie das professionelle Weiterkommen in Georgien: Nach dem, was ich gehört habe, auch oft im Kulturbereich.

4. Welchen Einfluss hatte der Aufenthalt für deine zukünftigen Projekte? Wie sehen deine Planungen aus?

In den nächsten Monaten werde ich meine Tiffliser Beobachtungen visuell auswerten. Ich arbeite im Moment an einem Video, das nächtliche Innenaufnahmen von Gebäuden in Tifflis zeigt. Ich möchte aber noch nicht allzu viel preisgeben, ich bin noch mitten im Arbeitsprozess und alles kann sich noch ändern. Ich habe eine Art Photo Archiv mit Kunstschmiedearbeiten angelegt, dies möchte ich zeichnerisch umsetzen. Durch die fortwährende Renovierung, Gentrifizierung, die auch in Tifflis Thema ist, ist zu befürchten, dass diese alten kunsthandwerklichen schmiedeeisernen Relikte des Alltags nach und nach verschwinden könnten.
In Ermangelung eines Arbeits-Ateliers habe ich in Tifflis begonnen ein Reise-Tagebuch zu schreiben. Es umfasst ca. 50 Seiten. Ich habe kurzzeitig das Medium gewechselt.
Vom Bild zum Text. Jetzt mache ich mir Gedanken, was ich davon öffentlich machen kann und in welcher Form. Sehr wahrscheinlich werde ich bei Gelegenheit zu einer Lesung einladen können. Dieser Mediumwechsel wird mein folgendes Arbeiten sicherlich beeinflussen. Und es ist mein Ziel mit dem Material ein Buch oder Magazin publizieren zu können.

Ich bin also gedanklich noch im Tifflis-Projekt, denn das ist mit zwei Monaten vor Ort nicht abgeschlossen. Im Gegenteil, ich stehe erst am Anfang.

5. Welche Möglichkeiten haben sich resultierend aus dem Austauschstipendium für dich ergeben?

Vor allem durch neue Kontakte, könnten sich für mich neue Möglichkeiten entwickeln. Man wird sehen, ob und wie sich die Dinge entwickeln, jetzt ist es noch zu früh etwas
Konkretes darüber zu sagen, ich bin ja erst vor ein paar Wochen aus Tifflis zurückgekommen..

6. Hast du Vorschläge zur Verbesserung der öffentlichen Förderungen für bildende Künstlerinnen?

Mir ist der Netzwerkgedanke wichtig: Solidarität unter den bildenden Künstlerinnen statt Konkurrenz untereinander: Dies kann institutionell unterstützt werden.
Es könnte eine professionell arbeitende Plattform geben, in der sich Künstlerinnen austauschen könnten, innerhalb derer Informationen, Erfahrungen gesammelt und weitergegeben werden.
Einen interdisziplinären Austausch zwischen den künstlerischen Disziplinen herzustellen und so evtl. Synergien zu ermöglichen, fände ich ebenfalls gut. Diesbezüglich findet meiner Meinung nach zu wenig statt.
Auch könnte man versuchen, die unterschiedlichen beruflichen Disziplinen, die innerhalb der bildenden Kunst tätig sind, stärker in den Austausch zu integrieren: Künstlerinnen mit Museumsleuten, GaleristInnen, Führungskräften von Institutionen, Hochschullehrenden zusammenzubringen. Dies wäre eine Möglichkeit sich gegenseitig besser kennen zu lernen, einen Perspektivwechsel zu ermöglichen und sich daran anschließend besser als bildende Künstlerin innerhalb dieses beruflichen Feldes bewegen zu können, da man sich mit der „anderen“ Seite auseinandergesetzt hat.
Es könnte Programme geben, in denen ein Coaching stattfindet, um seine eigenen Fähigkeiten zu stärken. MentorInnen-Programme zur beruflichen Professionalisierung sind eine gute Idee. Diese sind im künstlerischen Bereich eher rar gesät.
Man könnte zeitlich befristete Qualifizierungsstellen für KünsterInnen in der Hochschul-Lehre an den Kunstakademien einrichten. Diese Stellen sollten am besten fachlich begleitet werden. In Niedersachsen gibt es schon so was, das Dorothea-Erxleben-Stipendium.
Öffentlichkeit stiften durch Ausstellungen, Publikationen, Workshops zu einzelnen Themen, wie mache ich eine Mappe, Selbstpositionierung, etc…
Mir wäre Nachhaltigkeit in der Förderung wichtig: Zu wissen, dass es offene und professionelle Ansprechpartner gibt, dass auch nach dem Stipendium eine Kontaktmöglichkeit besteht.

Ich bin der Meinung auch eine Frauenförderung solle sich kritisch hinterfragen lassen dürfen, Divergenzen und Kontroversen zulassen.
So möchte ich zum Schluß gerne die britische Soziologin Sara R. Farris zitieren: „Ich finde, in den letzten Jahren haben sich die Forderungen von Mainstream-Feministinnen viel zu sehr auf „pinke Quoten“ bzw. die Erhöhung der Frauenanteile in Spitzenpositionen konzentriert. Diese Forderungen stellen existierende Machtstrukturen nicht in Frage, sondern fordern Frauen im Gegenteil geradezu dazu auf, sie zu akzeptieren, indem sie sich selbst erfolgreich ihren Weg darin bahnen. Außerdem lenken diese Forderungen von den viel wichtigeren Themen wie dem Zugang aller zu kostenfreien öffentlichen Einrichtungen ab, der das Leben von Frauen um so vieles besser machen würde.“

Liebe Ulrike, wir wünschen dir viele spannende Projekte in diesem Jahr und freuen uns auf deine kommenden Ausstellungen.

picture by Ulrike Möschel