Stipendiatin Sara Dietrich

Interview zum Auslandsstipendium Armenien 2015

FKB: Liebe Sara, wir haben deine Reiseberichte mit großer Begeisterung verfolgt und freuen uns, dass du mit so vielen Eindrücken wieder zurück im Lande bist. Warum hast du dich für das Stipendium beworben?

Sara: Schon seit längerem wollte ich gerne an einem Residenzprogramm teilnehmen um Zeit und Raum einer völlig anderen Umgebung zu erleben und mein künstlerisches Forschen, Recherchieren und Entwickeln in einen neuen Kontext zu setzen. In meiner künstlerischen Praxis arbeite ich vorwiegend
ortsbezogen und beschäftige mich mit räumlichen Prozessen und Raumkonstellationen. Die Kaukasusregion bot für mich persönlich ein unbekanntes außereuropäisches Umfeld – einen komplexen Kulturraum, der sowohl orientalische, asiatische wie auch sowjetische Einflüsse vereint und deren Strukturen ich vor Ort nachgehen wollte.

FKB: Hast du dich mit den heimischen KünstlerInnen und Institutionen austauschen können und in welcher Form ist das geschehen?

Sara: Im Rahmen einer Präsentation meiner künstlerischen Arbeit zu Beginn des Aufenthaltes und einem anschließenden sympathischen Beisammensein mit Essen, Wein und Musik fand ein erster direkter Austausch mit den Künstlern vor Ort statt. Da das Studio 20 als ein Treffpunkt für Künstler, Designer, Architekten usw. fungiert und neben Präsentation auch Diskussionsrunden und Ausstellungen organisiert, habe ich mich mehr und mehr dort aufgehalten, diskutiert und gearbeitet. Innerhalb dieses Austauschs ist u.a. meine eigene Homepage entstanden. Gleichzeitig lernte ich auch andere, nicht einheimische Künstler kennen mit denen der Kontakt ebenso intensiv war und wo sich erste Ideen zu einer Zusammenarbeit entwickelten, die allerdings aus Zeitgründen nicht mehr vor Ort realisiert werden konnten.

FKB:  Wie hast du die Kunst- und Kulturlandschaft in Armenien/Georgien wahrgenommen?

Sara: Im deutlichen Kontrast zu Deutschland und wie ich finde selbst zu Georgien, ist Armeniens Kunst- und Kulturszene durch eine starke Konzentration auf die Hauptstadt Yerevan geprägt. Dieser Aspekt verweist zugleich auf die sozialen wie auch politischen Gegebenheiten dieses Landes, die einen unmittelbaren Einfluss auf die „Kulturlandschaft“ haben. In diesem Sinne befinden sich nahezu alle Museen moderner oder zeitgenössischer Kunst in Yerevan, während im ländlichen Gebiet primär die historischen Kulturstätten vorzufinden sind. Obwohl Armenien 1991 seine Unabhängigkeit erlangte, ist der sowjetische Einfluss bis heute deutlich spür- und sichtbar – insbesondere in der Stadtplanung, der Architektur an sich, aber auch in dem Verständnis von Kunst. Im öffentlichen Sektor herrschen Museen vor, die einen sehr traditionellen Kunstbegriff mit dem Fokus auf klassische Malerei und Bildhauerei vermitteln. Zudem stammen nahezu alle ausgestellten Exponate aus privaten Sammlungen und deuten mehr auf eine Geschmacksauswahl, denn auf eine „objektive“ Zusammen-stellung nach kunsttheoretischen Ansätzen hin. Auch das Selbstverständnis der einheimischen Künstler unterscheidet sich zu dem in Deutschland vorherrschenden „l’art pour l’art“- Charakter. Meinem Empfinden nach scheint das Künstlersein in Armenien unweigerlich mit einer intellektuellen und politischen Haltung verbunden zu sein. In diesem Sinne führt die räumliche Konzentration zu einer sehr (politisch) aktiven Künstlergemeinschaft, aber zu auch einer (zu) starken Vermischung politischer und ästhetischer Fragen im Kunstschaffen.

FKB: Welchen Einfluss hatte der Aufenthalt für deine zukünftigen Projekte? Wie sehen deine Planungen aus?

Sara: Zwei Wochen nach meiner Rückkehr kann ich den Einfluss des Aufenthaltes für kommende Projekte noch nicht abschätzen. Im Gegenteil glaube ich, dass sich der Prozess, der vor Ort in Armenien angestoßen wurde, auch in den heimischen Gefilden weiter fortsetzt und es somit schwierig ist einen konkreten Einflussfaktor zu benennen. Im Allgemeinen haben mich die Selbstverständlichkeit, in der spartenübergreifende Kunst- und Kulturprojekte organisiert werden, und das offene Selbst-verständnis, parallel als Künstler und Kunstmanager agieren zu können, geprägt. Den Druck, sich zwischen den Positionen entscheiden zu müssen, hat sich für mich mit den positiven Erfahrungen in Armenien entschärft – was sich auch auf meine zukünftigen Projekte auswirken wird.

FKB: Welche Möglichkeiten haben sich resultierend aus dem Austauschstipendium für dich ergeben?

Sara: Den Aufenthalt in Armenien schätze ich besonders in Hinblick auf die gegebene freie Zeit zum Entdecken und Reflektieren. Raum für konkretes „Produzieren“ ist innerhalb dieser recht kurzen Zeitspanne wenig gegeben, da es mehr Zeit braucht die Eindrücke vor Ort zu verarbeiten und aus diesen Ansätze für künstlerische Eingriffe zu entwickeln, geschweige denn diese anschließend umzusetzen. Die Möglichkeit meine Arbeiten öffentlich vorzustellen und darüber in einen intensiven Dialog mit den einheimischen Künstlern zu treten, empfand ich als sehr sinnvoll und lohnend. Durch das Kennenlernen und den Austausch mit anderen Kunst- und Kulturschaffenden stehen erste Ideen für gemeinsame Projekte – auf online-basierter Ebene – im Raum.

FKB: Hast du Vorschläge zur Verbesserung der öffentlichen Förderungen für bildende Künstlerinnen?

Sara: Diese Frage ist äußerst komplex und kaum in wenigen Sätzen zu beantworten. Daher möchte ich mich an dieser Stelle exemplarisch auf das Auslandsaufenthaltsstipendium des Frauenkulturbüros in Georgien/Armenien beziehen, welches ich aufgrund meiner Teilnahme intensiv kennenlernen konnte. Die Idee eines Austauschprogramms – insbesondere in der recht „exotischen“ Kaukasusregion – ist ideal um das eigene künstlerische Wirken in einem ungewohnten Kontext zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Initiativen dieser Art sind somit unglaublich wertvoll für die künstlerische Entwicklung und die Etablierung von Künstlern. Dem FKB gelingt mit diesem relativ „jungen“ Projekt in der Kaukasusregion eine innovative Möglichkeit der Künstlerförderung. Ich möchte mich herzlich für diese Erfahrung bedanken und wünsche dem Austauschprogramm, dass es sich als sinnvolle Maßnahme zur Künstlerförderung etablieren kann.

FKB: Liebe Sara, vielen Dank für das Interview. Wir wünschen dir für das Jahr 2016 alles Gute und werden deine künstlerischen Tätigkeiten mit Spannung weiter verfolgen.

picture by Sara Dietrich