Katharina Maderthaner

Katharina Maderthaner
berichtet über ihr Auslandsstipendium in Armenien 2016

Das Frauenkulturbüro NRW schickt seit 2013 jedes Jahr im Rahmen des „Internationalen Austauschs“ zwei Künstlerinnen aus Deutschland nach Georgien und Armenien.
2016 entschied sich die Auswahljury für Katharina Maderthaner aus Düsseldorf und die Kölnerin Tessa Knapp.
Die 34jährige Malerin und Objektkünstlerin Maderthaner überzeugte mit ihren Raumcollagen aus Mustern und Oberflächen, mit denen sie auf visuelle Komponenten einer Alltagskultur eingeht. Das FKB traf nach der Rückkehr Katharina Maderthaner und stellte neugierige Fragen.

FKB: Katharina, wie bist du ans Stipendium gekommen?

Katharina: Ich wurde vorgeschlagen und dann von der Jury ausgewählt.

FKB: Hast du dich mit den heimischen Künstlerinnen und Institutionen austauschen können und in welcher Form ist das geschehen?

Katharina: In Armenien war es bei mir die Kuratorin Eva Khachatryan, die als Ansprechpartnerin vor Ort war und mittlerweile eine gute Freundin geworden ist. Über Eva bin ich ziemlich schnell in Kontakt mit Künstler/innen, Institutionen und Projekträumen gekommen. Darauf hin folgten Besuche in Ateliers und unterschiedlichster Veranstaltungen. Mir war es wichtig Kolleginnen kennen zu lernen, mich mit ihnen auszutauschen und eine schöne Zeit zu verbringen. Mit Eva habe ich auch über die Arbeit von und mit Institutionen, ihre Möglichkeiten und Schwierigkeiten gesprochen und viel gelernt. In Georgien hatte ich das Glück, dass Tessa schon dort war und mir den Einstieg erleichterte.

FKB: Wie hast du die Kunst- und Kulturlandschaft in Armenien wahrgenommen?

Katharina: Die Künstler/innen sind noch mal sehr viel mehr auf sich allein gestellt. Es gibt so gut wie keine staatliche Unterstützung. Es ist nicht selten, dass Künstler/innen bei ihren Eltern leben und keine externen Ateliers haben. Offenbar aus wirtschaftlichen Gründen. Das zur materiellen Seite der Kunstlandschaft. Was die Künstlerpersönlichkeiten angeht, so gibt es natürlich alle Charaktere: den Spinner, den Checker, den Denker, den Macher, den Erfolgreichen, den Verweigerer, den Introvertierten, den Extrovertierten….wie überall auf der Welt, nehme ich an. Auffallend ist jedoch und aufgrund der politischen Lage auch einleuchtend, dass viele Künstlerinnen und Künstler politisch orientiert arbeiten. Politik und Leben ist in Armenien noch mal sehr viel mehr spürbar miteinander verknüpft als in Georgien und vor allem als in Deutschland.

(Galeriefotos bitte anklicken)

FKB: Wofür hast du besonderen Mut aufbringen müssen?

Katharina: Die Rolltreppe der Metro hat mich Überwindung gekostet: zu steil, zu tief, zu schnell für mich. Ansonsten musste ich keinen besonderen Mut aufbringen. Ich habe alles als großes Abenteuer angenommen und wollte mich vor Ort bewegen, wie alle anderen auch, was manchmal eine Herausforderung war. Die armenische Schrift ist sehr speziell und für mich nicht lesbar. So war oft die Fahrt mit einem überfüllten Mini-Bus direkt mit der Hoffnung verknüpft, die richtige der rund 200 Buslinien erwischt zu haben. Ansonsten bin ich in Yerevan auch mal Auto gefahren (Wolga, Bj. 1976). Da brauchte es ein gewisses Urvertrauen. Als offensichtlich westliche Frau habe ich öfters verwunderte Blicke geerntet: alleine als Frau einen Drink in einer Bar zu nehmen, ist dort eher die Ausnahme, aber ich denke, an solche „Erscheinungen“ müssen sich armenische Männer einfach gewöhnen. 

FKB: Was hat dich am stärksten beeindruckt?

Katharina: Beindruckend finde ich, dass Armenien ein Land ist, das auf interessante Weise nicht leicht einzuordnen ist. Gleichzeitig und in direkter Nachbarschaft kommen Jahrhunderte und verschiedenste Stile zusammen: Orient – Europa – „Ostblock“, sowjet-moderne Architektur, frühchristliche Bauten, prähistorische Ausgrabungsstätten, Nostalgie und Tragik, Vertrautheit und Ungewöhnliches, Härte und Verspieltheit, Fortschritt und Stillstand.
Eine sehr außergewöhnliche Situation war ein Ausflug nach Metsamor, etwa 30 Kilometer westlich von Yerevan. Dort gibt es das einzige Kernkraftwerk im Kaukasus. Es gehört zum gleichen Reaktortyp wie Tschernobyl und ist deshalb stark in der Kritik. Es war ein verregneter Tag und die Straße dorthin war mit großen Pfützen durchzogen. Die letztgelegene Bushaltestelle vor dem AKW ist eine Wellblechdach-Konstruktion, über und über verrostet, Bahngleise und ein kleines Dorf im Hintergrund. Ganz in der Nähe ist die Ausgrabungsstätte einer prähistorischen Siedlung. Hier gibt es unter anderem riesige Steine in Penisform aus dieser Zeit zu sehen. 6000 Jahre Zivilisation in nächster Nachbarschaft: prähistorische Penissteine und ein Atomkraftwerk – Potenz pur. Das sage ich natürlich augenzwinkernd, aber es schien so unwirklich.
Die Museumslandschaft in Yerevan ist im Vergleich zu Deutschland bzw. NRW eine komplett andere. Zeitgenössische Kunstmuseen oder Galerien (so wie wir sie kennen) sind sehr rar. Und wenn es sie gibt, dann oft mit einem merkwürdigen Beigeschmack, wie z.B. bei der Kaskade, ein Treppenbauwerk aus den 70er Jahren mit Ausstellungsflächen. 2009 eröffnet für zeitgenössische Kunst, sozusagen als das „Guggenheim des Kaukasus“, sind dort heute Swarovski-Skulpturen zu sehen. Dafür gibt es etliche interessante historische und archäologische Museen und Bibliotheken, sowohl in Yerevan, als auch auf dem Land.

FKB: Mit welchen Erwartungen bist du losgefahren?

Katharina: Ich hatte von Armenien nur drei Bilder im Kopf: Den bekannten Ex-BVB-Fußballer Henrich Mchitarjan, den Profi-Boxer Arthur Abraham und die letzten armenischen Beiträge des Eurovision Song-Contest. Insofern habe ich vor allem Neues und Unbekanntes erwartet. Es war gut, so unbelastet von Erwartungen hinzufahren und mich überraschen zu lassen.

FKB: Welchen Stellenwert hat Kunst von Frauen nach deinen Erfahrungen in Armenien?

Katharina: Es gibt natürlich Künstlerinnen, aber noch lange nicht in der Größenordnung wie bei uns. Die noch sehr starke patriarchale Struktur der armenischen Gesellschaft wirkt auch hier. Viele Frauen, so habe ich erfahren, studieren zwar Kunst, aber sehen sich auf ihrem Lebensweg nicht als Künstlerinnen, sondern schlagen andere Wege ein, gehen in andere Berufe, werden Ehe- und Hausfrauen. Ich habe trotzdem Künstlerinnen getroffen, die es krachen und sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Zahlenmäßig kamen sie mir im Vergleich zu den „Künstlermännern“ aber sehr viel geringer vor. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass in den Institutionen schon auffallend mehr Frauen arbeiten, auch in leitenden Positionen.

FKB: Wie bist du an die Arbeit während des Stipendiums herangegangen? Hattest du einen Plan, ein Konzept?

Katharina: Es entspricht meiner generellen Arbeitsweise, mich einfach umzuschauen und zu beobachten.Mich interessiert das „einfache, normale“ Leben: Was machen die Leute? Wo kaufen sie ein? Wie schaut die Werbung aus? Welche Musik läuft im Radio? usw… Daraufhin hat sich die Arbeit entwickelt. Zugute kam mir in Armenien besonders, dass das Land (auch als Erbe aus Sowjetzeiten) viele Momente der Improvisation hat. Warum einen Metallhocker schweißen, wenn man die Punkte auch im Handumdrehen mit Klebeband verbinden kann? Außerdem der (aus deutscher Sicht) Hang zum Kitsch und wiederrum die Vorliebe zu Monumentalbauten. Eine interessante Kombination, die mich inspiriert hat. Es war für mich  recht leicht, mich auf das Land einzulassen und die ersten Eindrücke auch schon in einer Arbeit umzusetzen. Im Umkehrschluss kann ich generell sagen, dass die Arbeiten, die während eines Stipendiums entstehen, unter heimatlichen Bedingungen so sicher nicht entstanden wären. Ich sehe es als großes Abenteuer und habe Freude daran, an anderen Orten zu arbeiten und mich von der neuen Umgebung beeinflussen zu lassen. Vom Gefühl her ist es ist vielleicht so wie wenn man verreist und eigentlich gar nicht so genau weiß, wo es hingeht. Ich bin also nicht mit einer fertigen Idee nach Armenien gekommen und habe die Arbeit umgesetzt, sondern habe diese komplett in Yerevan gemacht. Oftmals bin ich mit meinen Blicken bei den Obst- und Gemüsehändlern auf der Straße, auf Märkten und in Geschäften hängengeblieben, wo das Obst und Gemüse zu imposanten Pyramiden gestapelt und schön hergerichtet angeboten wird. Ganz profane Wachstischdecken waren oft im Spiel. So kam eins zum anderen und ich fing an mir die Materialien zu besorgen, was auch schon ziemlich abenteuerlich war. Die Wohnung wurde zum Atelier: Gucken, ausprobieren, gucken, machen… So entstand die Arbeit „Fischers Fritze (fischt frische Fische): zweierlei Sorten von Wachstischdecken, einer kleiner Buntstiftzeichnung und Melonen bzw. Kohlköpfen.

FKB: Welche Ergebnisse des Stipendiums hat es direkt vor Ort gegeben?

Katharina: Vor allem habe ich erst einmal Freundschaften geknüpft. Zudem hatte ich eine kleine Ausstellung mit Künstlergespräch in einem Projektraum in Yerevan. Es war in einem ehemaligen Atelierhaus aus Sowjetzeiten. Heute gibt es dort nur noch eine Hand voll Ateliers und Projekträume durch Privatisierung der Immobilien und Umwandlung in Eigentumswohnungen. Neben der vor Ort entstandenen Arbeit gab es einen Beam und ich habe eine Auswahl meiner Arbeiten gezeigt. Eva Khachatryan hat es organisiert und fleißig beworben, so dass auch etliche Besucher kamen. Eine gute Mischung: KünstlerInnen, Kunstinteressierte, jung, alt, (für Eva) bekannte und unbekannte Besucher. Das Publikum schien mir interessiert, aber auch ein wenig ernst, wobei es bei meiner Arbeit eigentlich keinen Grund dafür gibt. Ich hatte den Eindruck, dass die Besucher von dem Künstler bei einem Gespräch unmittelbare Erklärungen, also eine unmittelbare Lesbarkeit zu den Arbeiten erwartet haben. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass sich einige Besucher ein wenig vor den Kopf gestoßen fühlten: Es gab keine Interpretationsvorlage meinerseits, doppeldeutige Arbeiten mit einer Hassliebe zum Kitsch, Humor, Heiterkeit, Alltagsbezug, Absurdität, der Erhöhung des Banalen, Trivialästhetik, Hochkultur trifft auf „Tief“kultur…. Die Künstlerinnen in Armenien arbeiten überwiegend sehr viel politischer und ich kann mir vorstellen, dass dieser Unterschied der Grund der zurückhaltenden Reaktionen war. Später haben Tessa und ich an einer internationalen Ausstellung „Living Room II“ im „Giorgi Leonidze State Museum of Literature, National Museum of Georgia“ teilgenommen.

Das Interview führte Maria Meurer (mmtextstudio), Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Frauenkulturbüro NRW.
Das Interview mit Tessa Knapp folgt in Kürze.