Ute Behrend:

Corona ist wie ein schlimmes Unheil über mich hineingebrochen

Ute Behrend wurde 1961 in Berlin geboren. Nach einer dreijährigen Schreinerausbildung entschloss sie sich 1985 zu einem Grafik-Design Studium in Wiesbaden, 1987 wechselte sie an die FH Dortmund, wo sie bis zu ihrem Diplom 1993 Fotografie studierte. Unter zahlreichen Auszeichnungen und Stipendien erhielt sie 2001 das vom Frauenkulturbüro  initiierte Stipendium für Künstlerinnen mit Kindern, 2003 nahm sie im Rahmen des Künstlerinnenpreises NRW an der Ausstellung Wonderlands im Museum Küppersmühle teil. 2009 wurde sie mit dem Buch Zimmerpflanzen für den Deutschen Fotobuchpreis 2009 nominiert, 2019 war sie Finalistin des Art Photography Award und gewann für ihre Arbeit Bärenmädchen den ersten Preis beim Julia-Margret Cameron Award. 2020 wurde sie für den Merk-Preis nominiert. Die Ausstellung und Preisverleihung die im Designhaus Darmstadt geplant war, wird voraussichtlich im September diesen Jahres stattfinden.

FKB: Deine berufliche Ausbildung begann zunächst mit einer Schreinerlehre, erst danach folgte dein Fotografiestudium. Hatte das Erlernen des bodenständigen Handwerks Auswirkungen auf deine künstlerische Entwicklung?

Ute Behrend: Ein Handwerk zu lernen ist sicher nie ein Fehler. Man kann solche Fertigkeiten sein ganzes Leben lang gebrauchen. Für mich war es eine sehr bodenständige Erfahrung. Damals war eine Schreinerausbildung, als Frau, nicht selbstverständlich. Die Arbeit war körperlich oft sehr anstrengend und Sexismus war an der Tagesordnung. Darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet. Ich musste lernen, damit umzugehen. Das war nicht immer lustig und ich könnte 2 Tage lang davon erzählen. Letzten Endes habe ich mir selbst bewiesen, dass ich Alles auch Alleine schaffen kann und fühlte mich von da an nicht mehr in der Position jemandem etwas beweisen zu müssen. Das war dann irgendwie auch luxuriös. Ich konnte mir von jedem Mann die Tasche tragen lassen, ohne gleich das Gefühl zu haben auf irgendeine Weise schwach zu sein.

FKB: 1996 hast du mit Girls, Some Boys and Other Cookies“ dein erstes Fotobuch herausgegeben, dem fünf weitere folgten. Das jüngste Buch „Bärenmädchen – Bear Girls“ von 2019 ist vielfach ausgezeichnet worden. Was reizt dich an dieser Art der Präsentation deiner Arbeiten?

Ute Behrend: Was meine künstlerischen Wurzeln betrifft, komme ich eigentlich aus der Literatur.
Als ich zu fotografieren begann, fielen mir die geschriebenen Worte zunehmend schwerer. Die Ausdrucksmöglichkeiten der Fotografie stellten alle Worte in den Schatten.
Ich arbeite oft über einen langen Zeitraum an meinen Themen. Ich entscheide mich für etwas, recherchiere sorgfältig, fotografiere an vielen verschiedenen Orten, verwerfe und beginne verschiedene Teile neu. Meine Bücher sind in dem Sinn keine Kataloge von zusammengestellten Arbeiten. Sie haben Rhythmus und Struktur und berichten von meiner langen Auseinandersetzung mit einem Thema. Sie lassen sich gut von vorne nach hinten lesen. Ein Konzept das Büchern eigen ist. Das finde ich wunderbar. In Ausstellungen lassen sich, je nach Räumlichkeit, auch andere Aussagen machen. Man kann dreidimensional arbeiten, Objekte hinzufügen, Filme zeigen. Auch das finde ich sehr spannend. Aber das Buch ist erst einmal eine lesbare Form, welche meine Arbeit gut wiedergibt und mit dem ich ein unterschiedliches Publikum erreichen kann.

FKB: Ein für dich wesentliches Stilmittel ist die Gegenüberstellung zweier Fotografien, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Sehr rasch entdecken wir jedoch assoziative Gemeinsamkeiten. Möchtest du Geschichten erzählen?

Ute Behrend: Als Beobachterin des täglichen Lebens ist mir ein Bild oft nicht genug, um etwas Komplexes zu beschreiben. Oft braucht es ein zweites Bild – das, was man auch noch sieht, obwohl es vielleicht gar nicht da ist. Dabei geht es nicht unbedingt um Geschichten. Es geht um Spannung, Poesie und auch um den Moment.

FKB: Die Corona Schutzbestimmungen haben den üblichen Kulturbetrieb über den Haufen geworfen; viele Künstler*innen sind in ihrer Existenz bedroht, es gibt kaum Ausstellungsmöglichkeiten und ebenso wenig Publikum. Wie bewältigst du die Situation?

Ute Behrend: Corona ist wie ein schlimmes Unheil über mich hineingebrochen. Ich kann noch nicht einschätzen, wie sehr mir diese Krise geschadet hat. Gut war, dass ich den ganzen Februar in Amerika unterwegs war, um für meine neue Arbeit über Cowboys zu fotografieren. Fünf Tage vor dem Shutdown bin ich zurückgekommen und war sehr erstaunt über das was hier passierte. In Amerika redete man von einer harmlosen Grippe. Aber ich hatte nun jede Menge Material und konnte die ganze Zeit über sehr gut arbeiten.

FKB: Es ist 19 Jahre her, dass du in den Genuss des Stipendiums für Künstlerinnen mit Kindern „Präsenz vor Ort“ gekommen bist und deine Kinder sind mittlerweile erwachsen. Erinnerst du dich noch, was dir diese einjährige Förderung damals ermöglicht hat?

Ute Behrend: Ich habe meine erste Schwangerschaft vor Verlegern und Galeristen verschwiegen und auch nach der Geburt oft so getan, als hätte ich kein Kind. Als in meinen Bildern Kinder auftauchten, musste ich ständig die Frage beantworten, ob dies meine Kinder wären. Ich fand das damals furchtbar, weil ich mich dadurch reduziert fühlte. Gleichzeitig wollte ich aber auch beschreiben, was in meinem Leben alles Großartiges passierte. Ich schämte mich ein wenig, ein Märchenbuch fotografieren zu wollen. Aber das war das, was ich sah. Ich habe mir dann überlegt, parallel eine zweite Arbeit zu machen, die mit den Kindern in meinem Leben nichts zu tun hatte, sondern die ganz andere Aspekte erzählen würde; „Den ganzen Rest“ habe ich damals immer gesagt. So war es dann möglich, das Märchenbuch zu fotografieren. Parallel dazu entstand dann „Zimmerpflanzen“. Hier war die Idee, etwas zu sehen, ohne selbst wahrgenommen zu werden und sich von dem Ort wo man sich befindet nicht wegbewegen zu können. Ein bisschen fühlt man sich ja so, als Mutter mit kleinen Kindern. Man ist viel zu Hause und mit einer neuen Selbst – und Außenwahrnehmung konfrontiert. Man ist abends sehr müde und hat ständig das Gefühl alles zu verpassen. Obwohl  man vollständig belegt ist, nimmt man alles war und stellt fest, dass man noch Teil des Ganzen ist, ohne dem groß nachgehen zu können. Das Stipendium hat mich damals darin bestärkt, etwas Wichtiges zu tun und meine Arbeit fortzusetzen gegen alle Selbstzweifel und äußeren Widerstände. Und davon gab es damals sehr, sehr viele.

FKB: Auf deiner Website wirbst du jetzt in Zeiten von Corona mit Artist in the Box dafür, Fotografien digital einzukaufen, wie wir es von Versandhäusern kennen. Nutzen die Leute das Angebot? Wie läuft das?

Ute Behrend: Ich denke, das Hauptproblem ist, dass die Sichtbarkeit der Künstler*innen durch Corona stetig abnimmt. Wer sich noch an einen erinnert und wenn es wieder möglich sein wird, seine Arbeiten einem großen Publikum unter entspannten Bedingungen zu zeigen, weiß man nicht. Durch „Artist in the Box“ ergibt sich die Möglichkeit gesehen zu werden. Man ist in einem Verbund, der viel geteilt wird und kann etwas von sich erzählen und einige Arbeiten zeigen. Menschen, die die einzelnen Künstler*innen unterstützen möchten, können dies tun.

FKB: Welchen Rat kannst du entmutigten Künstler*innen, die unter der gegenwärtigen Corona-Krise leiden, geben?

Ute Behrend: Ich denke nicht, dass ich jemandem einen Rat geben kann, der durch Corona leidet. Künstler*innen befinden sich schon länger in der Krise. Unser ganzes kulturelles System beruht auf der Selbstausbeutung von Kulturschaffenden. Durch Corona tritt das nur noch offensichtlicher zutage. Es gäbe viele Möglichkeiten Künstler*innen zu helfen. Angefangen bei Ausstellungshonoraren über ein staatlich gefördertes Grundeinkommen bis zur Grundrente. Dass viele Künstler*innen aus diesem kürzlich beschlossenen Rentenkonzept herausfallen, weil sie zu wenig!!!! verdienen zeigt, wie wenig unsere Arbeit anerkannt wird.
Das Interview führte Heidi Matthias