Bianca Künzel lebt und arbeitet als freie Schauspielerin, Regisseurin und Performerin in Düsseldorf. Gastengagements führten sie u.a. an das Nationaltheater Weimar, das Düsseldorfer Schauspielhaus, Bochumer Schauspielhaus, die Ruhrtriennale und das FFT Düsseldorf. In ihren Künstlerkollektiven projekt-il und waltraud900 entwickelt sie Projekte zwischen Theater, Installation und Performance, die sich mit generationsübergreifenden Themen des gesellschaftlichen Lebens im internationalen Kontext auseinandersetzen. Darüber hinaus arbeitet sie noch in anderen Kollaborationen u.a. als langjährige Performerin bei kainkollektiv. Sie kommt einem Lehrauftrag an der Musikhochschule Robert Schumann in Düsseldorf nach. Im Jahre 2022 erhielt sie das FKB-Stipendium für Künstlerinnen mit Kindern.
FKB: projekt-il und waltraud900 sind Kollektive, die du beide mitbegründet und -entwickelt hast. Was unterscheidet sie und was haben sie gemeinsam?
Bianca: Beide Kollektive sind aus inhaltlichen Bedürfnissen entstanden und dem Wunsch, kollektiv zu arbeiten. Das Arbeitsfeld von projekt.il bewegt sich zwischen Kunst und Alltag, zwischen traditioneller Bühne und öffentlichen Raum, zwischen professionellen Künstler*innen und Bürger*innen. Waltraud900 ist ein deutsch-griechisches Künstlerinnenkollektiv und widmet sich zeitgenössischen Fragen nach Identität und gesellschaftlicher Zugehörigkeit aus feministischer Perspektive, wobei interdisziplinäres Arbeiten und Mehrsprachigkeit essenziell sind.
FKB: Mit welchen Projekten beschäftigst du dich aktuell?
Bianca: Waltraud900 beschäftigt sich aktuell mit dem zweiten Teil einer Trilogie GRANDMOTHERS of the FUTURE, die den GRANDMOTHERS; MOTHERS an DAUGHTERS zwischen Vergangenheit und Zukunft gewidmet ist. Während der erste Teil nach dem intergenerationellen Erbe fragt und den eigenen weiblichen Traditionslinien folgt, beschäftigt sich nun der zweite Teil KISSES FROM SNAIL mit neuen Familienkonzepten und ist ein utopisches Spiel mit Lebensentwürfen. Ein Versuch, Verwandtschaft neu zu formulieren und die Mutter performative zu imaginieren, irgendwo zwischen Realität und Utopie. Im Herbst 2023 werden wir mit dem letzten Teil unserer Trilogie den thematischen Reigen schließen. DAUGHTERS OF THE FUTURE wollen wir den jungen Frauen und deren Zukunft widmen mit einem Ritual zur Selbstermächtigung der Töchter und deren Töchter.
Mit meinem Kollektiv projekt.il konzentrieren wir uns in diesem Jahr darauf, das nachhaltig angelegte Projekt At The Table international zu zeigen und weiterzuentwickeln. Gerade haben wir diese Videoausstellung in Begleitung mit Liveperformances in Malta zeigen dürfen und werden in Kürze in Stuttgart damit gastieren.
Mit meinem Kollektiv projekt.il konzentrieren wir uns in diesem Jahr darauf, At The Table international zu zeigen und weiterzuentwickeln. Gerade haben wir diese Videoausstellung in Begleitung mit Liveperformances in Malta zeigen dürfen und werden in Kürze in Stuttgart damit gastieren.
Parallel dazu arbeiten wir kontinuierlich an einer Gesamtkonzeption zum Thema Erbe, dessen erste Inszenierung im Herbst 2022 in einem Storage in Stuttgart Premiere hatte und weiterhin regelmäßig gespielt wird.
FKB: Parallel zu deiner beruflichen und künstlerischen Entwicklung warst du auch stets als Mutter familiär stark eingebunden – du hast eine 25jährige Tochter und einen Sohn im Alter von 12 Jahren. Wie hast du das gemanagt?
Bianca: Da ich relativ früh und relativ spät Mutter geworden bin, kenne ich mein Leben kaum ohne Kinder. Daher waren sie immer Teil meiner Arbeit und andersherum. Vielleicht gibt es für mich auch deshalb kaum eine Grenze zwischen privat und politisch. Natürlich gab es immer wieder Krisen, Knotenpunkte und vor allem ein schlechtes Gewissen, was lähmte oder motivierte oder mich Dinge neu denken ließ. Vor allem habe ich sehr schnell lernen müssen, mich zu strukturieren, loszulassen und fokussiert zu sein. Vielleicht war es hilfreich, dass ich sehr gern früh aufstehe und den Morgen liebe. Ehrlich gesagt frage ich mich viel mehr, wie sich meine Arbeit verändern wird, wenn dieser eine Blickwinkel, den meine Kinder hatten, fehlen wird. Diese unbedingte, ehrliche und pure Perspektive.
FKB: Welchen Stellenwert nimmt für dich als ehemalige Stipendiatin das FKB-Programm „Präsenz vor Ort“ im Kanon anderer Stipendien ein?
Bianca: Neben der monetären Unterstützung habe ich das Stipendium vor allem als Wertschätzung und Anerkennung meiner Arbeit wahrgenommen, was sehr motivierend war und mir auf einer anderen Ebene Vertrauen gegeben hat. Das Stipendium habe ich vor allem in Strukturberatung und Fortbildungen investiert. Damit habe ich mir Raum schaffen können für Inspiration.
FKB: Was sind deine Pläne für dieses Jahr und darüber hinaus?
Bianca: Ich werde bis Mitte des Jahres einige Gastspiele und meine Arbeit sichtbar machen können. Es sind zwei Premieren mit waltraud900 geplant und was mich besonders freut, dass ich als Performerin mit kainkollektiv einen Film drehen darf.
Perspektivisch wäre ich dankbar, wenn ich die Qualität meiner Arbeiten vertiefen könnte und gleichzeitig weiterhin meinen Lebensunterhalt damit verdiene. Das heißt für mich, dass bestehende Strukturen langfristig gesichert sind. Inhaltlich wünsche ich mir eine stärkere intergenerative Arbeit und weitere internationale Vernetzung, weil ich an die Vielschichtigkeit von Perspektiven glaube und das für eine Bedingung meiner Arbeit halte.
Das Interview führte Heidi Matthias
Portraitfoto Bianca Künzel: Merle Forchmann