Eva-Maria Baumeister

Eva-Maria Baumeister studierte Theaterwissenschaften in Amsterdam und Regie an der Folkwang Universität Essen. Sie inszenierte an verschiedenen deutschen Theatern sowie am Schauspielhaus Graz. 2006 gründete sie das Festival Kaltstart in Hamburg und übernahm seither immer wieder kuratorische Aufgaben. Für ihre künstlerische Arbeit erhielt sie mehrfach Auszeichnungen, u.a. drei Stipendien der Film- und Medienstiftung NRW für die Erarbeitung von Hörspielen. Seit 2009 arbeitet sie zudem als freie Dozentin an unterschiedlichen Ausbildungsstätten. Im Jahre 2022 war sie Stipendiatin des FKB-Programms Präsenz vor Ort. Eva-Maria Baumeister lebt mit ihrer Familie in Hürth.

FKB: Eva-Maria, du hast deine künstlerische Laufbahn als Theaterregisseurin begonnen. Mittlerweile sind deine Inszenierungen, die du innerhalb der Gemeinschaft Polar Publik entwickelst, alles andere als klassische Theateraufführungen. Wie würdest du deine Bühnenstücke beschreiben? Welche Themen beschäftigen dich?
Eva-Maria: Es sind Themen, die uns im Hier und Jetzt begegnen. Das kann sehr lokal sein, wie die Umsiedlungen im Zuge des Braunkohletagebaus Garzweiler hier im Rheinland, aber auch sehr global, wie das Feld der Resonanz. Jedes Mal kommt das aus einem sehr genauen Hinsehen und Spüren: Was ist hier gerade los? Wo sind wir hier gerade? Welche Prozesse und Entwicklungen erleben wir? Diese Themen sind immer auch metaphorisch zu verstehen: also, bei den Umsiedlungen ging es ganz klar auch allgemein um die Themen Macht und Ohnmacht, das zieht sich auch immer durch: Wer wird gehört , wann und warum? Auch das Thema Resonanz in dem Stück  ALLES IN STRÖMEN (siehe Szenenfotos) oder unser nächstes Themenfeld des „BRUCHS“ lassen sich zum einen physikalisch oder akustisch beschreiben, sind aber auch Metaphern für soziale und gesellschaftspolitische Prozesse. Und so bearbeiten wir die Themen auch: aus einem wissenschaftlichen Blick, meist mit kunstfernen Expert:innen, und dann aus unserer jeweiligen Disziplinen.
Wenn ich alleine arbeite, beziehe ich die Themen meist noch direkter auf mein nahes Umfeld und nehme ein „großes“ Thema meist aus einem sehr persönlichen Impuls heraus, wie in meiner letzten Arbeit ALLES, WAS DIE ZUKUNFT RETTET oder auch das Feature I FEL STUPID AN CONTAGIUOUS – akustische Tagebücher einer Pubertät im lockdown. Aus den Recherchen und Suchbewegungen entsteht dann eine (bei Polar Publik interdisziplinäre) Choreografie, die sehr stark von der Musik und dem Rhythmus aller Elemente ausgeht.

 

FKB: Du arbeitest als freie Regisseurin, Hörspielautorin, freie Dozentin und hast eine Familie mit zwei Kindern. Wie gelingt es dir, allen Anforderungen gerecht zu werden?
Eva-Maria: Unser Familienleben ist in jedem Fall auf große Flexibilität eingestellt. Ich und mein Mann sind selbstständig tätig und so gibt es Phasen, in denen mal ich und mal mein Mann hauptverantwortlich ist für die Carearbeit. Wir erarbeiten uns mehr und mehr ein System, das seit 3 Jahren auch mitgetragen wird von einer Gemeinschaft jenseits der Kleinfamilie: wir leben mit 2 anderen Familien auf einem Hof bei Köln. Auch hier sind das Lernprozesse, die uns allen immer wieder zeigen, wie sehr wir noch in dem Denken der klassischen Rollen- und Familienbilder stecken und was es auch für andere Modelle jenseits dieser Bilder gibt. Das ist ein sehr spannender und lehrreicher Prozess!

FKB: Im Jahr 2022 warst du eine von drei Künstlerinnen, die das FKB-Stipendium Präsenz vor Ort erhielten. Wie war das für dich, als du davon erfuhrst? Was hat dir das Stipendium ermöglicht?
Eva-Maria: Ich hab mich so sehr gefreut. Das war ein ganz kraftvoller Moment, ich war da gerade auch mit meinen KollegIinnen von Polar Publik zusammen und wir haben uns alle einfach gefreut!! Ich versuche zwar sehr daran zu arbeiten, mein Selbstverständnis als Künstlerin nicht von äußerer Zusprache abhängig zu machen, aber das ist unfassbar schwer für mich, gerade mit zunehmendem Alter und als Mutter von 2 Kindern wird der Druck nochmal verschärft. Das Stipendium hat mir Leichtigkeit gegeben, hat meinen Blick auf meine Kinder als Inspirationsquelle geschärft, hat mich ermutigt zu scheitern und hat mir natürlich auch eine Sichtbarkeit gegeben. So funktioniert der Kunst- und Theatermarkt einfach, dem muss man sich stellen, wenn man das machen will. Auch das habe ich nochmal mehr verstanden und akzeptiert. Das Stipendium hat also eher nochmal meinen Blick auf meine Arbeitsbedingungen und mein Selbstverständnis als Künstlerin verändert, als dass es sich konkret auf ästhetische Aspekte ausgewirkt hätte. Aber am Ende, wenn auch sehr subtil, greift auch das ja alles immer ineinander.

Eva-Maria Baumeister mit ihrem Sohn, Foto: Carmen Körner

Eva-Maria Baumeister mit ihrem Sohn, Foto: Carmen Körner

FKB: Im Rahmen des Stipendiums wirst du im 2023 ein Projekt realisieren. Kannst du uns schon etwas über den Inhalt und das Konzept verraten.
Eva-Maria: Ich plane einen langfristige Recherche zu der Frage, wann unser Alltag politisch wird und was er uns über (soziale) Ungleichheiten verrät. Welchen Rhythmus hat Alltäglichkeit? Welche Körperlichkeit? Welche Muster? Und (wie) ist durch eine künstlerische Aneignung und Überhöhung dieser Elemente Alltäglichkeit (musikalisch/choreographisch) erzählbar?
Im Rahmen des Stipendienprojektes richte ich den Blick dabei konkret auf Mutterschaft und Alltag und arbeite daran gemeinsam mit einer befreundeten Dramaturgin Sibylle Dudek. Beginnend bei uns und unserem näheren Umfeld, sammeln wir Alltagserzählungen von Müttern aus diversen Lebensrealitäten, die sonst wenig gehört werden: Dabei kann alles zur Textgenese beitragen: Einkaufszettel, Stundenpläne, Tagesabläufe, alltägliche Wege und Räume genauso wie Reflexionen, Meditationen oder emotionale Geschichten. Alles hat Platz: das Banale, das Erschöpfende, das Glücklich-Machende und Sinnvolle, das Fürsorge bedeutet. Aus den gesammelten O-Tönen, Zitaten und eigenen Beobachtungen entsteht eine vielstimmige Textur, die vom Politischen im Privaten handelt, davon, Mutter zu sein und gesellschaftlich teilnehmen zu wollen.

FKB: Wir leben in unsicheren Zeiten, die Zukunft birgt viele Risiken und Bedrohungen. Was gibt dir die Kraft, weiterhin künstlerisch zu arbeiten? Was ist der Nährboden für deine Kreativität und Zuversicht?
Eva-Maria: Ich mache Kunst, WEIL die Zukunft riskant und instabil ist. Und aus meinem Kunstschaffen beziehe ich wiederum meine Zuversicht für die Zukunft. Kraft geben mir die Menschen, die ich liebe, mit denen ich zusammenlebe und arbeite und eben mein künstlerisches Arbeiten selber.
Das Interview führte Heidi Matthias

Eva-Maria Baumeister, Foto: Carmen Körner