Leonie Wolf

Game Artistin

1993 in Ulm geboren, nahm Leonie Wolf 2014 ihr Studium Digitale Games am Game Lab der Technischen Hochschule Köln auf. Schon während ihrer Studienzeit war sie an der Entwicklung von diversen Videospielen wie Kyklos Code, Oneironaut beteiligt. 2017 wurde sie mit dem Künstlerinnenpreis des Landes NRW (Förderpreis) im Bereich Game Design ausgezeichnet. Seit dem Abschluss ihres Bachelorstudiums 2018 arbeitet sie Vollzeit im Bereich 3D Game Arts. Zuletzt arbeitete sie beim StartUp Giant Door am Indietitel Derpy Conga und schloss ihr Masterstudium im Bereich Game Development & Research ab. Leonie Wolf ist seit langem auf allen wichtigen Game Festivals vertreten, gibt Game Development Workshops und setzt sich im Rahmen des Netzwerks #FemFevsMeetup für die Förderung junger Frauen in der Spiele-Entwicklung ein. In ihrer Bachelor- und Masterarbeit beschäftigte sie sich mit Möglichkeiten, Videospiele als Therapieform gegen Depression und Stress einzusetzen.

FKB: Du warst in der letzten Zeit stark beschäftigt, um nicht zu sagen, du hattest eine anstrengende Phase. Was liegt hinter dir?
Leonie
: Die letzten Monate waren wirklich sehr anstrengend. Zwischen Vollzeitjob und Masterstudium liegt auch noch ein Umzug hinter mir. Dazu kommen natürlich noch die mittlerweile alltäglichen Schwierigkeiten, die die Pandemie mit sich gebracht hat. Viele Student*innen schreiben die Masterarbeit ja nicht direkt nach dem letzten Vorlesungs-Semester, sondern schieben noch ein paar Monate, um sich ordentlich darauf vorzubereiten. Aber ein Kommilitone hatte mir ein interessantes Projekt gepitched und daraufhin haben wir die Masterarbeit gemeinsam direkt angemeldet. Gleichzeitig steuern wir bei Giant Door aber auch auf den Abschluss und Release unseres Gameprojekts Derpy Conga im 4. Quartal des Jahres zu. Also insgesamt kann man sagen, dass die letzten Monate wirklich sehr stressig waren. Aber rückblickend bin ich schon sehr froh, das Studium erfolgreich hinter mich gebracht zu haben. Dadurch kann ich mich jetzt wieder mehr auf meine ehrenamtlichen Tätigkeiten bei #FemFevsMeetup und meine freiberuflichen Workshops etc. konzentrieren. Und dazwischen auch mal ein paar Hobbies nachgehen, die nichts mit Games zu tun haben! Ich versuche mich für die nahe Zukunft etwas besser zu situieren, damit ich nicht ständig diese Doppel- oder sogar Dreifach-Belastung habe. Das geht nämlich schon seit ca. 2015 so und geht auf Dauer ziemlich an die Substanz.

FKB: Du bist leidenschaftliche Game Artistin. Könntest du uns den kreativen Prozess beschreiben, wie ein Videospiel entsteht.
Leonie: Am Anfang beginnt natürlich alles mit einer Idee. Oft entstehen diese Ideen bei sogenannten Game Jams, das sind Events, bei denen in 48 Stunden zu einem Thema ein Spiel entwickelt werden soll. Oder diese Ideen sind von anderen Medien geprägt, häufig natürlich auch von anderen Games. Manchmal spielt man etwas und denkt sich “Das würde so oder so aber viel mehr Sinn machen!” oder “Wäre es nicht cool, wenn man dies oder jenes noch eingebaut hätte?”. Manchmal schaut man aber auch eine Serie oder einen Film und hat Lust eine interaktive Story im Stil des Films zu entwickeln. Wenn es eine Idee gibt, braucht man ein Team. Natürlich kann man auch Spiele allein entwickeln, dann muss man aber ein ganz schön umfangreiches Skill-Set mitbringen, viel Zeit und viel Durchhaltevermögen haben. Ich persönlich arbeite sehr gerne im Team. In der Regel gibt es mindestens eine*n Game Artist*in, eine*n Programmierer*in und eine*n Game Designer*in. Zusätzlich gibt es natürlich auch Sound Artist*innen, bei Giant Door haben wir einen Freelancer dazu geholt. Der/ die Game Artist*in kümmert sich natürlich um alles Visuelle im Spiel. In größeren Teams gibt es oft viele Teilbereiche in einem Department. Zum Beispiel gibt es im Art Bereich 2D Concept Artists, UI/ UX Artists, 3D Artists, Lighting Artists, etc. Selbst in diesen Bereichen gibt es nochmal Unterteilungen, z.B. gibt es im 3D Bereich Character Artists, Rigger, Animator, Environmental Artists, Tech Artists, FX Artists und mehr. In den anderen Departments gibt es natürlich auch viele verschiedene Teilbereiche. In kleineren Teams, wie z.B. bei Giant Door (4 Personen), muss man oft viele Bereiche gleichzeitig übernehmen. So umfassen meine Aufgaben 2D Concept Art, 3D Charaktere oder Props (Objekte oder Umgebungselemente) modellieren, texturieren, riggen, animieren und implementieren. Aber auch Art-unabhängige Arbeiten gehören zu meinen Aufgaben, wie Social Media Marketing. In Indie-Entwicklerstudios trägt man oft viele Hüte. Wenn das Team steht, muss man sich einen Plan zurechtlegen. Dabei schaut man vor allem, wie viel Budget und Zeit man hat. Das wird in Start-Ups häufig durch staatliche oder kulturelle Förderungen bestimmt. Dann legt man das Ziel des Projekts fest: was wollen wir erreichen, wie lange wird es dauern und was brauchen wir dafür? Dazu wird dann ein Milestone-Plan erstellt, der für jeden Sprint zeigt, was erledigt werden muss und ob man dieses Ziel erreicht hat. Sprints sind bestimmte Zeiträume, die man festlegt. Je nach Projekt sind diese unterschiedlich lange, wir haben z.B. zwei-wöchige Sprints. Wenn man während der Entwicklung merkt, dass man mehrere Sprintziele nicht in der geplanten Zeit erreicht hat, muss man sich überlegen, ob man Teile des Spiels streichen kann. Sonst entsteht sogenannter “Crunch”, das sind Phasen, in denen Mitarbeiter über längere Zeiträume teilweise extreme Überstunden machen, um das Ziel zu erreichen. Crunch ist sehr ungesund und leider viel zu üblich im Game Development, kann aber durch korrekte Planung vermieden werden. Bei Derpy Conga haben wir einen realistischen Plan gemacht und daher Crunch komplett vermieden.

FKB: Du bist im Netzwerk #FemFevsMeetup engagiert. Wie ist derzeit das Geschlechterverhältnis im Bereich der Spiele-Entwicklung? Und wie sieht es bei den Usern aus?
Leonie
Seit einigen Jahren hält sich die Geschlechterverteilung der Spieler in Deutschland die Waage (48% weibliche Spieler, 52% männliche Spieler). Diese Zahlen kommen vom Verband der deutsche Games-Branche. Diese Statistik berücksichtigt natürlich nicht diejenigen, die sich mehreren oder keiner der gesellschaftlich anerkannten Geschlechter zuordnen. Auch bei den Entwicklerstudios tut sich etwas. Allerdings kann ich mich dafür nicht auf verlässliche Daten für Deutschland beziehen und nur aus meiner persönlichen Erfahrung sprechen. Es gibt zwar immer mal wieder Umfragen aber die, die ich gefunden habe, waren entweder relativ klein oder veraltet. Mein persönlicher Eindruck ist, dass Firmen, die nur männliche Mitarbeiter haben, relativ selten geworden sind. Trotzdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass mehr Frauen als Männer in Game Firmen immer noch Verwaltungsaufgaben übernehmen und selten in Führungspositionen zu finden sind. Ich kenne auch immer noch deutlich mehr Programmierer als Programmiererinnen.
Ich fand es schön zu sehen, dass meine Kommiliton*innen im Studium von Anfang an unglaublich divers waren. Leider spiegelt sich das nicht immer im Arbeitsalltag wider. Viele Entwicklerstudios oder auch Einzelpersonen nutzen Diversität mehr als Marketing-Tool, anstatt tatsächlich Interesse an einem diversen Arbeitsumfeld zu haben. Das bedeutet, dass ein Studio z.B. zwar mehr Frauen einstellt, aber häufig für Positionen, die sie für Frauen “angemessen” finden, so wie Marketing, HR oder als Assistenzpositionen, statt für Posten im Entwicklerteam oder in der Führungsebene. Ein anderes Problemfeld ist auch die immer noch krassen Unterschiede bei der Bezahlung. Die Gehälter der Frauen in Entwicklerteams sind oft viel niedriger als die der Männer und Firmen verstecken sich hinter Geheimhaltungspflichten, um diese unfaire Behandlung aufrecht zu erhalten. Bei #FemFevsMeetup sprechen wir häufig über die Befürwortung von transparenten Gehältern. Gehaltsunterschiede sind meiner Meinung nach die gängigsten Form von Sexismus am Arbeitsplatz. Das kennt man ja nicht nur aus der Game Branche. Oft passiert es auch, dass Studios zwar Frauen einstellen, aber ihr Arbeitsumfeld nicht divers genug gestalten. Das kann sich z.B. so äußern, dass männliche Mitarbeiter oder Chefs weiterhin mit sexistischen Äußerungen um sich werfen, was für weibliche Devs eine unangenehme Arbeitsatmosphäre schafft. Häufig wird auch von frisch eingestellten Frauen erwartet, dass sie sich darum kümmern ein diverseres Arbeitsklima einzuführen, statt dies von allen Mitarbeitern zu fordern. Das bürdet Frauen zusätzliche Arbeit auf abseits der Tätigkeit, für die sie eingestellt wurden, was eigentlich die Aufgabe von allen im Team wäre. Dadurch entsteht eine gewisse Fluktuation, in der Frauen sich nicht lange in solchen Firmen aufhalten. Das ist nicht gerade wirtschaftlich.
Trotzdem hat sich die Einstellung zu diverseren Arbeitsteams in den letzten Jahren verbessert, nicht nur hinsichtlich der Geschlechter. Dadurch, dass einige Studienprogramme in Deutschland komplett auf Englisch stattfinden, können viele ausländische Student*innen in der Deutschen Entwicklerbranche begrüßt werden. Auch in vielen Entwicklerteams ist es Standard, dass die Arbeit auf Englisch stattfindet. Aus meiner Erfahrung bieten besonders Indie-Entwicklerteams eine bunte Mischung aus kreativen Menschen, die sich mit gesellschaftskritischen Themen auseinandersetzen. Dort ist in der Regel die Geschlechterverteilung auch ausgeglichener und generell diverser. Ich bin guter Dinge, dass dieser “Nachwuchs” aus den noch relativ jungen Game-Development Studiengängen über die nächsten Jahre in die Branche einfließen und diese immer diverser gestalten wird. Zusätzlich wird sich z.B. beim game Verband bemüht das Thema aufrecht zu erhalten oder in Jurys wie die des Deutschen Entwicklerpreises Diversität zu fördern.

FKB: Du hast dich mit den positiven Wirkungen von Videospielen auf die Psyche beschäftigt. Gilt das für alle Arten von Videospielen und gibt es dazu wissenschaftliche Untersuchungen?
Leonie: Für meine Bachelor- und Masterarbeit habe ich mich hauptsächlich auf wissenschaftliche Studien als Argumentationsbasis gestützt. Es gibt ziemlich viel Forschung im Bereich digitale Spiele und Psyche. Natürlich werden dort nicht nur die positiven Aspekte untersucht und meiner Ansicht nach gibt es dort auch immer noch viele Vorurteile. Aber das Interesse ist da, und zwar schon lange. Ein paar der Studien, die ich im Bereich Phobien-Behandlung mit Virtual Reality gelesen habe, wurden bereits in den 90ern gemacht. Oft entstehen gesellschaftliche Phänomene online, die dann wissenschaftliche Untersuchungen nach sich ziehen. Für alle Arten von Videospielen gilt das natürlich nicht. Ich würde sagen, jedes Spiel kann irgendeine Wirkung auf die Psyche haben, genau wie alle anderen Medien. Aber bestimmte Spiele haben gewisse Trigger, die sich bei Individuen positiv auf mentale Krankheiten auswirken können. Bei meiner Recherche für die Bachelorarbeit fand ich, dass die Forschung generell noch etwas chaotisch wirkt. Es wird in viele verschiedene Richtung geforscht, statt einer klaren Linie zu folgen. Das liegt vielleicht daran, dass es diese klare Linie noch nicht gibt. Gleichzeitig entwickeln sich digitale Spiele und die Technologie rasend schnell weiter. Das Mindeste, das in Deutschland mal passieren könnte, um da hinterher zu kommen, ist aufzuhören digitale Spiele als sein Nischenprodukt zu betrachten. Sie sind Teil unserer Gesellschaft und haben großes Potenzial, unter anderem auch für das Gesundheitswesen.

FKB: Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Leonie: Was die nähere Zukunft angeht, bin ich etwas zwiegespalten. Zum einen möchte ich mich weiterbilden, immer mehr lernen, mein Skill-Set erweitern und vor allem noch viel mehr im öffentlichen Bereich machen. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich sehr gerne auf der Bühne stehe und vor Menschen spreche, zum Beispiel bei meinen Workshops oder bei Vorträgen. Das hat mir während der Pandemie auch sehr gefehlt und ich hoffe, dass das bald wieder ein Teil der Normalität sein wird. Für die nächste Zeit habe ich mir vorgenommen, einige Games nachzuholen und selbst ein paar Kurse zu machen, um aus meinem gewohnten Arbeitsprozess auszubrechen und ein paar neue Skills im Bereich 3D Arts zu lernen. Schließlich will ich meine Workshops ja auch immer mal wieder erweitern.
Auf der anderen Seite möchte ich mich nicht mehr so überarbeiten. Wenn man den Beruf aus Leidenschaft macht, passiert das leider sehr schnell. Ich würde gerne wieder ein bisschen mehr Zeit in meine anderen Interessen investieren können. Ich glaube, es wäre gesund mal ein paar Dinge zu tun und zu lernen, die gar nicht zum Ziel haben mich beruflich weiterzubringen. Dafür stelle ich gerade die Weichen, damit das nicht nur Wunschdenken bleibt und ich eine gesunde Mitte finde.
Das Interview führte Heidi Matthias