Alejandra Jara

1980 in Paraguay geboren absolvierte Alejandra Jara eine klassische Ballettausbildung in Asunción und gehörte von 1999 bis 2008 dem National Ballett von Paraguay an. Im Jahre 2008 siedelte sie in die USA über und machte 2011 ihren Master of Fine Arts in Dance an der Ohio State University. 2012 schloss sie eine Ausbildung zur Gaga-Lehrerin in Israel an. Seit 2014 lebt sie in Köln und arbeitet als freischaffende Performerin, Choreografin und Gaga-Lehrerin. Alejandra Jara erhielt für ihr künstlerisches Schaffen verschiedene Auszeichnungen, u.a. im Jahre 2022 das FKB-Stipendium Präsenz vor Ort.

FKB: Ale, deine künstlerische Karriere begann als Ballett-Tänzerin, mittlerweile machst du eigene Tanzstücke und bist Gaga-Lehrerin. Wie verlief diese Entwicklung und welchen Einfluss hatte dabei die Bewegungssprache Gaga für dich?
Alejandra: Ich habe schon sehr früh zeitgenössischen Tanz in mein Training aufgenommen, auch nachdem ich meinen Abschluss als Tänzerin und Tanzlehrerin gemacht hatte und in das Nationalballett aufgenommen wurde. Dort arbeitete ich mit vielen Choreographen zusammen, die alle ihre eigene Bewegungssprache mitbrachten, wovon ich sehr profitierte.
Später während meines Studiums an der Ohio State University hatte ich das Glück mit wunderbaren Choreographen und Lehrern zu arbeiten, die mich als Künstlerin gestärkt haben, u.a. Vicky Blaine und John Giffin (ehemaliger Tänzer von Pina Bausch). An der Universität lernte ich auch die Technik von William Fortsythe und die Gaga-Bewegungssprache kennen. Das war der Punkt, an dem ich anfing, mit verschiedenen Werkzeugen zu spielen, und Gaga wurde ein starkes Werkzeug für mich. Jetzt gebe ich Gaga-Kurse und -Workshops und bin fasziniert von der Möglichkeit, Menschen unabhängig von ihrem Alter oder ihrer Kondition zur Bewegung zu bringen. (Ich hatte schon über 80-Jährige, die zusammen mit 20-Jährigen an meinem Kurs teilnahmen.) Es geht darum, den Körper aufzuwecken, ihn auf gesunde Weise zu stärken und Spaß dabei zu haben. (Gaga ist eine Bewegungssprache, die Ohad Naharin, langjähriger Leiter der Batsheva Dance Company aus Israel, entwickelt hat und die von seinen Tänzer*innen täglich praktiziert wird. Gaga stärkt nicht nur das Bewusstsein für Bewegung, sondern auch Ausdauer, Beweglichkeit und Flexibilität. Instinktive Bewegungen werden verstärkt und mit bewussten und unbewussten Gesten verbunden.)
Als Choreographin und Tänzerin nehme ich die Bewegung, um Emotionen zu erzeugen, Emotionen des Körpers, das Spiel mit Zartheit, Ironie und Körperqualitäten.

 

FKB: Das Leben als freiberufliche Tänzerin, Pädagogin, Choreografin und Mutter ist alles andere als einfach. Wie sieht dein Alltag aus?
Alejandra: Ich denke, in vielen Berufen ist es nicht einfach, Mutterschaft und Arbeit miteinander zu vereinbaren. Als Künstlerin haben wir einige Schwierigkeiten, die bei anderen Berufen vielleicht nicht auftreten, vor allem wegen der Arbeitszeiten. Aber ich liebe, was ich tue. Meine Gaga-Kurse und Workshops gebe ich nicht nur in Köln, sondern deutschlandweit und im Ausland. Außerdem gebe ich Online-Kurse, die es mir ermöglichen, mit Menschen auf der ganzen Welt in Kontakt zu treten.
Parallel zu meiner Lehrtätigkeit entwickle ich ein bis zwei Tanzstücke jährlich, in denen ich selbst auch tanze.
Nun… all das mache ich vor 15:00 oder 16:00 Uhr, denn am Nachmittag muss ich meine Tochter von der Schule abholen. Danach fallen die normalen Hausaktivitäten an. Jetzt, da meine Tochter älter geworden ist, habe ich angefangen, auch abends ein paar Kurse zu geben. Gelegentlich, wenn mein Mann arbeitet, nehme ich sie inzwischen schon mit. Ich finde es toll, dass sie sehen kann, was ihre Mutter macht. Sie war zwei Jahre alt, als sie mich zum ersten Male auftreten sah…und das mit voller Konzentration. Meine „freie“ Zeit nutze ich für Büroarbeit, E-Mail-Korrespondenz, Organisation, Projekterarbeitung und die Suche nach möglichen Festivals oder Fördermitteln.

 

FKB: Welche Förderungen haben deine künstlerische Arbeit in den letzten Jahren unterstützt? Gab es Kooperationen, die dich weiterbrachten?
Alejandra: Eine gute Unterstützung war das Förderprogramm für soloselbstständige Tanzschaffende DisTanz SOLO.
Sehr ermutigt hat mich das FKB-Stipendium für Künstlerinnen mit Kindern Präsenz vor Ort. Nicht nur wegen des Geldes, das ich ein Jahr lang monatlich erhielt, sondern auch wegen des Vertrauens und des Interesses an meiner Arbeit. Das Feedback, das ich von der Jury bekommen habe, war wunderbar! Das Stipendium gab mir die Freiheit verschiedene Dinge ausprobieren und die finanzielle Voraussetzung, Projekte umzusetzen. So ermöglichte es mir, eine neue Choreografie mit Tänzerinnen einzustudieren und davon ein Video zu produzieren sowie die Umarbeitung eines meiner Stücke, um es auf einem Tanzfestival in Rumänien aufführen zu können.
Eine sehr schöne Zusammenarbeit erfuhr ich mit Markéta Irglová, einer Oscar-prämierten Musikerin (und Mutter) – einem wunderbaren Menschen. Ich habe mit ihr als Tänzerin und Choreografin an den Videos The Leading Bird, Among the Living und The Season gearbeitet. Diese Welt des „Films“ hat mich auch dazu inspiriert, mich mehr mit dem Medium Tanzfilm zu beschäftigen. 2022 habe ich das Tanzvideo „Waiting Room“ gemacht, ein Solostück, das in einem Museum mit der Installation von Katharina Hinsberg aufgeführt wurde (gefilmt bei der Ausstellung „Still Lines“ in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach). Ich lernte sie bei einem Workshop des Frauenkulturbüros kennen. Für das Video habe ich mit Alessandro De Matteis  zusammengearbeitet, mit dem ich in diesem Jahr auch schon bei anderen Projekten zusammengearbeitet habe.

FKB: An das einjährige FKB-Stipendium Präsenz vor Ort ist eine Projektförderung gekoppelt, mit der du dein neues Solostück „Caracú“ realisieren kannst, das in der zweiten Hälfte 2023 uraufgeführt werden soll. Was ist der Inhalt von „Caracú“?
Alejandra: In dem Stück geht es um Beziehungen, Mutterschaft und die weibliche Stimme. Ich beschäftige mich mit der Zärtlichkeit des Lebens selbst und mit allem, was wir Menschen durchmachen. Das Stück wird von meinen persönlichen Lebenserfahrungen als Mutter, Künstlerin und Immigrantin, die in Deutschland lebt, inspiriert sein.
Caracú wird in meiner Heimat Paraguay als Metapher für den Kern, die Tiefe des eigenen Wesens verwendet. Caracú bedeutet in die Seele eindringen, in unsere Wünsche und vielleicht in unsere Vergangenheit. Auch wenn wir es nicht sehen können, ist es da und zeigt sich in unseren Entscheidungen, unserem Verhalten und der Art, wie wir die Welt wahrnehmen. In meinem neuen Solostück möchte die Bedeutung von Caracú zum Ausdruck bringen. Ich will die Essenz dessen erforschen, was emotionale Sprache in der Choreografie für mich ist. Dabei möchte ich meine lateinamerikanischen Wurzeln als Ausgangspunkt nutzen und eine Verbindung schaffen zwischen lateinamerikanischem Rhythmus und zeitgenössischem Tanz. Aber das Wichtigste für mich ist, dem Publikum zu zeigen, wer ich als Künstlerin bin.

FKB: Unser Leben ist derzeit von ernsten Krisen und großen Problemen überschattet. Wie siehst du deiner Zukunft als Künstlerin entgegen? Hast du neue Projekte? Gibt es für dich Netzwerke, die sich stützen?
Alejandra: Durch das Stipendienjahr gestärkt will ich mich als Künstlerin weiter entwickeln und Wege finden, meine Arbeit zu zeigen.
Neben der Aufführung meines Stücks „Caracú“ möchte ich neue Projekte mit den Tänzer*innen, mit denen ich bereits zusammen arbeite, realisieren und strebe weitere Arbeiten mit Markéta Irglová an.
Ein großes Netzwerk hat sich durch meine Lehrtätigkeit entwickelt. Dadurch entstehen schöne Kontakte, die auch neue Kooperationen nach sich ziehen.
Auch in schwierigen Zeiten dürfen wir Künstler*innen nicht aufgeben. Als Gaga-Lehrerin sehe ich so viel Energie, Sensibilität und Hunger nach Zusammengehörigkeit ohne Angst. Für mich ist es schön zu sehen, was Bewegung den Menschen gibt, es ist wirklich unermesslich. Ich gebe ihnen einen sicheren Ort, um zu sein, sich zu bewegen und loszulassen. Allein aus diesem Grund lohnt es sich, weiterzumachen.
Als Choreographin kann ich vieles ausdrücken; mein Weg ist die Bewegung. Ich bin nicht so sehr der Wortmensch, vor allem, weil ich die meiste Zeit nicht in meiner Muttersprache rede oder schreibe. Das ist ein weiterer Grund, warum ich den Tanz liebe… es ist keine Übersetzung nötig.
Das Interview führte Heidi Matthias