Carola Bauckholt

Komponistin, Intermedia-Künstlerin

Carola Bauckholt, 1959 in Krefeld geboren, studierte nach 8-jähriger Mitarbeit im TAM (Theater am Marienplatz, Krefeld) von 1978 bis 1984 an der Musikhochschule Köln bei Mauricio Kagel. Zusammen mit Caspar Johannes Walter gründete sie den Thürmchen Verlag, später das Thürmchen Ensemble für Neue Musik in Köln.
Zu ihren zahlreichen Auszeichnungen und Stipendien gehört u.a. der Künstlerinnenpreis NRW 1998 und der Deutsche Musikautorenpreis der GEMA 2010. Als international anerkannte Komponistin und gefragte Gastdozentin für Experimentelle Musik wurde sie 2013 zum Mitglied der Akademie der Künste in Berlin gewählt. Seit 2015 ist sie Professorin für Komposition an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz und seit 2020 Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Bis 2013 hatte sie ihren Lebensmittelpunkt im Rheinland; jetzt lebt sie in Freiburg im Breisgau.

FKB: Bei Betrachtung deiner Biografie liegt die Vermutung sehr nahe, das avantgardistische Theater am Marienplatz habe dir den Weg zur Experimentellen Musik geebnet. Schon als 17-jährige warst du Ensemblemitglied des TAM in Krefeld, wo auch Mauricio Kagel seine Stücke aufführte. Wusstest du damals schon, dass du Komponistin für neue Musik werden würdest?

Carola: Natürlich bin ich im TAM lebenslang infiziert worden. Von den künstlerischen Erfahrungen, die ich dort machen konnte, zehre ich immer noch. Es ist ein großer Glücksfall, dass das TAM existiert und was Pit Therre dort alles möglich macht. Manchmal reise ich auch noch dorthin, obwohl der Weg inzwischen ziemlich weit geworden ist.
An den Begriff „Komponistin“ musste ich mich gewöhnen. Er war mir sehr lange fremd und ich konnte mich nicht damit identifizieren. Bis heute blicke ich mit großer Distanz auf den Bereich „Komposition“, obwohl ich es mittlerweile sogar unterrichte. Ich spüre immer noch das belastende Gewicht der Tradition, das mit diesen Begriffen verbunden ist.

FKB: Viele deiner Kompositionen hast du zunächst für Instrumente oder Gesang geschrieben, wobei die Grenze zwischen Musik im herkömmlichen Sinn und Geräuschen schon immer fließend war. Welche Entwicklung hat deine Kompositionsarbeit im Laufe der Jahre genommen?

Carola: Hm, das ist aus der Innenperspektive schwer zu beurteilen. Ich bin immer noch die Gleiche. Ich habe das Glück mit fantastischen Musiker*innen zusammenarbeiten zu können. Dann bemühe ich mich, immer wieder neue Dinge auszuprobieren und riskant zu arbeiten. Die Neugierde ist eine Konstante in meinem Leben.

FKB: Manche der Titel deiner Werke wie z.B. „Schraubdichtung“, „Treibstoff“ oder „Schlammflocke“ stimmen bereits auf ein ungewöhnliches Hörvergnügen ein. Bei deinem Stück „Witten Vakuum“ für zwei Frauenstimmen mit zwei Staubsaugern bin ich hin und hergerissen zwischen Verblüffung und Heiterkeit. WDR-Mitschnitte „Witten Fakuum“ Schwingt Humor bei deinen Kompositionen mit?

Carola: Das werde ich oft gefragt. Die Komik passiert vollkommen unbeabsichtigt, denn ich denke, ich arbeite sehr logisch und folgerichtig. Du hast das schön formuliert – zwischen Verblüffung und Heiterkeit. Wir lachen, wenn Dinge ungewöhnlich aufeinandertreffen. Wir lachen, wenn wir überrascht sind, wenn zum Beispiel das Staubsaugerrohr an den Mund genommen wird und dort wunderbare Klänge erzeugt werden. Das war aber ein Ergebnis der langen ernsthaften Suche nach einem Instrument, mit dem wir Saugklänge erzeugen und modulieren können.
Ein klarer Wunsch meiner Arbeit ist die intensive Kommunikation zwischen disparatem Material. Es bringt etwas in Bewegung, wenn an Gewohntem gerüttelt wird. Es ist aber ein schmaler Grad, wo dieses wirklich entstehen kann, wo wir wach und aufmerksam werden und mit unseren Sinnen auf das Ungewohnte reagieren, denn wir haben für fast alles Schubladen bereit, damit unser Geist schnellst möglichst begreift, verarbeitet und die Schublade wieder schließt.

FKB: Es sind nicht nur die Geräusche des Alltags – ich denke dabei u.a. an deine Musik auf Regenjacken – , die dich inspirieren, sondern auch Klänge aus der Natur. In „Instinkt“ hast du den Gesang von Schlittenhunden notiert. Worum geht es dir bei diesen adaptierten Klangwelten?

Carola: Die Gesänge der Schlittenhunde sind vollkommen faszinierend und durch die Übertragung auf Menschenstimmen wollte ich einfach untersuchen, was daran so spannend ist. Es sind tatsächlich die Harmonien, die Struktur und das Timbre. Bei dem Stück „Doppelbelichtung“ für Geige und Zuspielungen habe ich Vogelstimmen fotografisch genau abgehört (soweit möglich) und die Geige mit dem Original in einen Kontrapunkt gebracht. Die Idee klingt banal und kitschig, aber das Klangresultat ist verblüffend. Meine klangliche Inspiration kommt aus unserer „Realität“ und nicht aus der Musik. Allerdings kommt eine Menge Inspiration durch die Musik*innen, die mich auch vollkommen faszinieren können.

FKB: Du unterrichtest seit vielen Jahren als Gastdozentin und seit 2015 als Professorin in Linz. Hast du den Eindruck, dass mehr Frauen als noch vor 20 Jahren sich mit Komposition beschäftigen? Haben Komponistinnen mittlerweile die gleichen Karrierechancen wie ihre männlichen Kollegen?

Carola: Diese Frage ist sehr komplex. Zur Zeit haben Komponistinnen in manchen Bereichen sogar mehr Chancen, weil endlich begriffen wird, dass sich der Neue Musik Bereich auch ästhetisch öffnen muss. Frauen haben manchmal andere Sichtweisen, sind oft originell und bringen frischen Sauerstoff in den Betrieb. Junge Komponistinnen werden zur Zeit zum Glück gefördert. Das ist aber nicht überall so – es gibt immer noch erschreckend viele Bereiche in Musikhochschulen und im Konzertleben, wo Frauen nicht existieren und wenn, dann als die berühmte Alibifrau. Es gibt sehr interessante Studien, die dieses Missverhältnis aufzeigen. Und ich kann ganz klar sagen, dass ich mich ohne diese speziellen Frauenförderungen nicht so hätte entwickeln können.
Zwei Kräfte müssen weiterhin sehr stark zusammenwirken: Die Frauen, die sich für die akustische Kunst interessieren, brauchen viel Mut und Selbstvertrauen um ihre Stimme laut werden zu lassen. Anderseits brauchen Institutionen den klaren Wunsch, Frauen Platz zu geben und auch Initiative und ein aufmerksames Auge auf Kandidatinnen. Von alleine geht das nicht, das habe ich festgestellt.
In der Bruckneruni in Linz ist das Bewußtsein vorhanden. Die Direktorin und das Präsidium ist zum überwiegenden Teil weiblich. Natürlich kommen zu mir viele Studentinnen, weil ich eine Frau bin und meine Klasse ist ungefähr zu 55% weiblich. Ich muss zugeben, dass ich sehr spät mit dem Unterrichten begonnen habe, weil ich die konservativen Institutionen fürchtete. Jetzt sehe ich erst, wie wichtig das ist.

Das Interview führte Heidi Matthias